Die Welt sagte, das sei nicht machbar. Die Welt kennt offenbar weder INEOS noch seine Mitstreiter
DIE Welt ist soeben Zeuge eines wirklich bedeutenden Augenblicks in der Geschichte der petrochemischen Industrie geworden.
Die Ladungen von verflüssigtem Ethan, die im März in den Docks von Rafnes in Norwegen landeten, werden INEOS‘ europäische Geschäfte beleben.
Vergessen Sie die Jahre, die vielen Millionen Arbeitsstunden und die 5.000 Arbeiter, die nötig waren, um die ersten beiden „Dragon-Schiffe” zu bauen, die diese kostbare Fracht transportieren. Denn diese Schiffe sind nur ein Teil der inspirierenden Geschichte mit ihren globalen Auswirkungen und ihrer außergewöhnlichen Vision.
Es ist auch eine Geschichte, die viele zu beiden Seiten des Atlantiks als reines Hirngespinst abgetan hatten.
„Es war noch nie gelungen und viele sagten, es sei nicht machbar”, so Chad Stephens, Senior Vice President of Corporate Development bei Range Resources, die INEOS mit dem benötigten Gas beliefern.
Diese in China gebauten Spitzentanker werden eine neue Ära im Ethangastransport einläuten.
„Wir erleben in unserer Branche selten bahnbrechende Momente, aber dies ist einer”, fasst Peter Clarkson, Head of Investor Relations bei INEOS, zusammen.
Was das kostengünstige Ethan für INEOS´ petrochemische Geschäfte in Europa bewirken wird, ist außergewöhnlich, sowohl bei der Energie als auch bei den Rohstoffen. INEOS wird das Gas für den Betrieb seiner Anlagen einsetzen, wenn es in Ethylen umgewandelt ist, eine der weltweit wichtigsten Substanzen in der Petrochemie.
„Der Transport von amerikanischem Ethangas nach Europa sichert unsere Petrochemie-Anlagen in Europa für viele Jahre ab”, prophezeit John McNally, CEO von INEOS Olefins & Polymers UK.
Tatsächlich begann die Geschichte bereits vor sechs Jahren, als INEOS es wagte, das Undenkbare zu denken. Im Jahr 2010 kämpfte Europa mit den Auswirkungen der Finanzkrise. Die Energiepreise waren höher als je zuvor, die Gasbestände in der Nordsee gingen allmählich zur Neige. Doch in Amerika war eine Revolution im Gange. Schiefergas hatte zu niedrigen Energie- und Rohstoffpreisen geführt, die der verarbeitenden Industrie zu neuem Aufschwung verhalfen. Aber Amerika hatte ein Problem. Es gab so viel Ethan, dass man nicht wusste, wohin damit.
Im INEOS-Hauptquartier in Rolle, Schweiz, entstand der Plan, eine virtuelle Pipeline über den Atlantik zu errichten, um das dringend für die Zukunft der europäischen Cracker benötigte Gas zu transportieren.
Aber wie würde INEOS das machen?
Niemand hatte je Ähnliches versucht. Es gab keine Möglichkeit, das Gas von den Schieferbohrlöchern im südwestlichen Pennsylvania 480 Kilometer weit nach Philadelphia an der Ostküste Amerikas zu transportieren.
Es gab keine Exporteinrichtungen in den USA und niemand hatte jemals versucht, Ethangas in diesen Mengen zu transportieren.
Für den Vorstandschef von INEOS, Jim Ratcliffe, spielte das alles keine Rolle.
„Die Leute meinten, es sei nicht machbar”, schmunzelt Jim. „Aber wir von INEOS waren immer davon überzeugt, dass alles machbar ist.”
Während INEOS seine ehrgeizigen Pläne verfolgte und ein Team aus internationalen Partnern zusammenstellte, das drei Kontinente überspannte, haben sich andere zurückgelehnt und abgewartet.
„Die Technologie war nicht vorhanden, also mussten wir sie entwickeln”, so INEOS-Director Andy Currie.
David Thompson, Chief Operating Officer von INEOS Trading & Shipping, wurde mit der Projektaufsicht beauftragt:
„Es war schlicht und einfach eines der größten technischen Projekte der Welt. Wir sind hier Pioniere. Wir waren an den Pipelines, der Fraktionierung, den Terminals, der Infrastruktur und den Schiffen beteiligt. Wir mussten uns um alles kümmern.”
Dieser kühne, bahnbrechende Plan ist jetzt Wirklichkeit geworden.
Zu seiner Durchführung hat INEOS 15-Jahres-Verträge mit Ethanlieferanten abgeschlossen wie Range Resources für das Gas, MarkWest für die Verarbeitung des Gases und mit Sunoco für dessen Beförderung über Hunderte Kilometer zum Marcus Hook Industrial Complex, wo das Gas auf -95° C abgekühlt wird, bevor es die Reise nach Norwegen und später in diesem Jahr auch nach Grangemouth in Schottland antritt.
Keiner der Beteiligten hegte je Zweifel. Es war kein Problem. Es war eine Chance. Eine Chance, die geschäftliche Zukunft in Europa zu sichern und ehemals florierende Gemeinden in Amerika wiederzubeleben.
In Amerika begannen die Arbeiten mit dem Umbau einer ehemaligen Öl-Pipeline für den Transport von Ethan für den Großteil des Weges vom Marcellus-Schiefergasfeld nach Marcus Hook, eine einst betriebsamen Öl- und Gas-Raffinerie, die im Jahr 2011 geschlossen worden war.
Sunoco, immer noch im Besitz der verrostenden Raffinerie, begann, Milliarden Dollar für den Umbau in ein Top-Zentrum für chemische Produktion, Gasspeicherung und Vertrieb zu investieren, in dem die INEOS-Flotte von „Dragon-Schiffen” beladen werden kann. An anderer Stelle wurden 80 Kilometer neuer Leitungen verlegt und eine neue Pumpstation errichtet.
Auf der europäischen Seite tat sich INEOS mit dem dänischen Transportriesen Evergas zusammen, um Tanker zu entwickeln, die einer solchen Mammutaufgabe gewachsen sind.
„Es war ein gewaltiges Unterfangen, aber Evergas verstand vielleicht besser als alle anderen, was nötig war, um Ethan in den von INEOS gewünschten Mengen über die erforderten Entfernungen zu befördern”, fasst Chad zusammen.
Und das hat Evergas tatsächlich getan.
„Es gab Ethan-Tanker”, so CEO Steffen Jacobsen. „Aber Evergas hat gemeinsam mit seinen vielen Stakeholdern die bisher größten und fortschrittlichsten Ethan-Tanker entwickelt. Die ehrgeizige Vision von INEOS und Evergas hat dieses Transportprojekt erst möglich gemacht.”
In Hamburg arbeitete die HSVA an einem optimierten Rumpf, der dem Transport von Ethan gerecht wird, und Wärtsilä in Finnland an der Entwicklung von Motoren, die ausschließlich mit Ethan betrieben werden können, was nicht nur für mehr Frachtraum sorgt, sondern auch die schädlichen Emissionen verringert.
Nachdem die Entwürfe fertig waren, erhielt Sino-Offshore and Engineering, eine der größten Werften der Welt, den Auftrag für das letzte Puzzle-Teil. Sie sollte die Schiffe bauen.
Nach Aufnahme der Arbeiten in China begann TGE Gas Engineering, eines der weltweit führenden Ingenieurbüros für Technik- und Projektbetreuung in der Gasspeicherung, mit dem Bau eines weiteren Ethanspeichertanks und der Infrastruktur für den INEOS-Standort Rafnes, um so den Import von Ethan aus nordamerikanischen Schiefergasfeldern zu ermöglichen.
Auch die Errichtung neuer Transport- und Speichereinrichtungen für die Abwicklung der Ethan-Importe in der INEOS-Anlage Grangemouth wurde in Angriff genommen.
Für die Mitarbeiter in Grangemouth war nach Monaten der Ungewissheit neue Hoffnung spürbar. Nur wenige Monate zuvor war die defizitäre petrochemische Anlage inmitten eines erbitterten Arbeitskampfes von der Schließung bedroht gewesen; bei diesem Arbeitskampf hatten die Mitarbeiter ursprünglich den Überlebensplan des Unternehmens abgelehnt.
Ein Gesinnungswandel ebnete schließlich den Weg für große Investitionen und eine 230-Millionen-£-Darlehensgarantie seitens der britischen Regierung, sodass INEOS die finanziellen Mittel für den Bau eines der größten Ethanspeichertanks in Europa aufbringen konnte. Der fertige Ethylenkracker wird eine Verdoppelung der Produktion ermöglichen.
Es war eine Mammutaufgabe. Doch Jim konnte seine Freude nicht verbergen, als er auf der Brücke des ersten „Dragon-Schiffes” stand, das treffend INEOS Ingenuity getauft worden war.
„Es ist wunderbar, wenn ein Plan verwirklicht wird”, sagt er. „Und es macht uns sehr stolz, etwas erreicht zu haben, was niemand je zuvor geschafft hat.”