Es sind aufregende Zeiten bei INEOS – sowohl an See als an Land –, wie INCH im Gespräch mit Geir Tuft, CEO des neuen Erdöl- und Gasgeschäftsbereichs INEOS Breagh, festgestellt hat
Viele Menschen fragen sich, warum sich INEOS an der Erdöl- und Gasexploration beteiligt und zu einem Zeitpunkt Richtung Nordsee steuert, an dem andere sie verlassen.
INEOS ist davon überzeugt, dass es für die Öl- und Gasindustrie der notwendige Wechsel sein kann, um für unwirtschaftlich gehaltene und für die Aufgabe ungeeignete alternde Plattformen zu retten.
Auch Geir Tuft ist davon überzeugt, der Mann, der für die Leitung von INEOS‘ neuem Offshore-Gasgeschäftsbereich INEOS Breagh rekrutiert wurde, das vier Plattformen in der Nordsee betreibt und Anteile an 16 Explorationslizenzen besitzt.
INCH erreichte Geir, kurz nachdem er in sein neues Büro in London als CEO von INEOS‘ neuer Gastochtergesellschaft eingezogen war.
„Ich weiß nicht, wohin diese Reise mich oder INEOS führt, doch wir sind in der Lage, in der Nordsee etwas zu bewegen“, sagte er. „Wir haben uns nicht auf kurze Sicht darauf eingelassen.“
Im Oktober 2015 erwarb INEOS alle zwölf britischen Nordseegasfelder, deren Eigentümer das deutsche Unternehmen DEA war, eine Konzerngesellschaft der LetterOne-Gruppe. Alle Gasfelder befinden sich in der Nähe von INEOS-Standorten im Nordosten und in Schottland und stellen etwa acht Prozent der Gaserzeugung im Vereinigten Königreich bereit, genug, um jedes zehnte britische Haus mit Wärme zu versorgen.
„Das ist nicht wenig, und ich denke jeden Tag auf dem Heimweg darüber nach – in dem Bewusstsein, dass dies meiner Aufsicht unterliegt“, sagte Geir.
Die britische Regierung hatte inmitten der Befürchtungen wegen Sanktionen gegen Moskau aufgrund von Russlands Rolle in der Ukraine von dem russischen Milliardär Mikhail Fridman verlangt, diese zu verkaufen.
Einige Tage, nachdem INEOS den Kauf der DEA (UK) abgeschlossen hatte, der die Clipper South-Plattform einschloss, verkaufte die Fairfield Energy Holdings Ltd. ihre 25-prozentige Beteiligung an der Clipper South, wodurch INEOS die Kontrolle über 75 Prozent erlangte. Fairfield äußerte sich dahingehend, dass man sich auf die Außerbetriebsetzung konzentrieren wolle.
Doch es ist unwahrscheinlich, dass INEOS‘ Interesse am Erwerb von weiteren Nordseegasfeldern damit endet.
„Praktisch alles steht in der Nordsee zum Verkauf“, sagte Geir. „Und wir sind die einzigen Käufer in einem Meer von Verkäufern.“
In vieler Hinsicht sind dies unbekannte Gewässer für INEOS, doch INEOS schätzt sich selbst „verwandt“ ein.
„Auch wenn INEOS Neueinsteiger in der Nordsee ist, verfügt das Unternehmen über umfassende Erfahrung im Betrieb von chemischen Anlagen, die im Vergleich zu diesen Bohrplattformen eine ähnliche oder höhere Komplexität aufweisen“, sagte Geir. „Unser Hauptfokus auf Leistung in den Bereichen Arbeits- und Umweltschutz, Zuverlässigkeit, hohe Auslastung und wettbewerbsfähige Cashfixkosten sind Merkmale, die die voll entwickelte Nordsee benötigt, um die Lebensdauer dieser Assets zu verlängern und so viele Kohlenwasserstoffe zu gewinnen wie möglich. Unserer Ansicht nach können wir diese Assets übernehmen, ihre Zuverlässigkeit verbessern und wo nötig Geld investieren.“
Die Probleme, mit denen die britische Öl- und Gasindustrie konfrontiert ist, die seit 1964 in der Nordsee nach Öl und Gas bohrt, sind gut dokumentiert.
2014 warnte Pricewaterhouse Coopers (PwC), dass eine neue Vision und neue Arbeitsmethoden dringend benötigt würden, um ihre Position als globales Zentrum für Öl und Gas zu festigen.
„Es ist unerlässlich, dass wir eine stärker strategische und integrierte Perspektive einnehmen, um das Leben in der Nordsee für alle Beteiligten und für künftige Generationen zu verlängern“, sagte Kevin Reynard, PwCs Senior Partner in Aberdeen. „Wenn wir uns gegen eine Veränderung entscheiden, riskieren wir, mit offenen Augen in eine vorzeitige Endphase zu laufen.“
Diese Ansichten wurden im Juni 2015 wiederholt, als PwC die Öl- und Gasunternehmen erneut drängte, sich an anderen britischen Branchen, die zur Veränderung oder zum Untergang gezwungen waren, ein Beispiel zu nehmen.
„Man muss sich der Tatsache stellen, dass Exploration und Produktion im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren zurückgegangen sind“, sagte Kevin. „Die Fakten sehen so aus: Selbst wenn alle geplanten Ölbohrungen vorgenommen werden, ist das Tempo immer noch zu gering, um auch nur einen Teil der potenziellen Ressourcen zu entdecken.“
PwC fordert eine schrittweise Veränderung der Strategie. „Unternehmen müssen Neuerungen einführen, kooperieren sowie Kostenkontrolle und Leistung verbessern“, sagte Kevin.
Seit Anfang 2014 drängte auch die britische Regierung die Industrie, die Betriebskosten zu senken, die Effizienz zu verbessern, unberührte Reserven auszubeuten und mehr Geld für Explorationen auszugeben.
„Unsere Erfahrung ist in diesem Umfeld von unschätzbarem Wert“, sagte Geir. „Wir haben in der Tat umfassende Erfahrung mit dem Erwerb, der Verbesserung und dem Management von Wirtschaftsgütern, die als unrentabel gelten. Wenn ein Unternehmen auf diesem Planeten es kann, dann INEOS.“
Nach Schätzungen verbleiben 30 bis 40 Jahre an Produktion – und geschätzte 24 Milliarden Barrel Öl –, doch das Office for Budget Responsibility prognostiziert einen Rückgang der Einnahmen aus der Erdölgewinnung von 38 Prozent bis 2017/2018.
Der britische Schatzkanzler George Osborne gab kürzlich Hilfsmaßnahmen im Wert von 1,3 Milliarden britischen Pfund über fünf Jahre bekannt, um die „erlahmende“ Produktion in der Nordsee bis zum Ende des Jahrzehnts um 15 Prozent zu steigern, und er plant ferner, neue Explorationsarbeiten teilweise zu finanzieren, um zur Erhöhung der Reserven der Region beizutragen.
Die Öl- und Gasindustrie ist sich dessen bewusst, dass sie die Betriebskosten um Milliarden senken und die Effizienz der Produktion steigern muss, will sie wettbewerbsfähig bleiben.
Die hohen Kosten dieser Wirtschaftsgüter wurden schonungslos aufgedeckt, als die Ölpreise plötzlich von 110 US-Dollar pro Barrel auf 60 US-Dollar, dann wiederum Ende des Jahres 2015 unter 40 US-Dollar fielen.
Geir, der die vergangenen drei Jahre am INEOS-Standort Grangemouth verbracht hat, ist auf die Ereignisse im Jahr 2016 gespannt.
„Zunächst müssen wir in jeder Hinsicht über das Geschäft Bescheid wissen“, sagte er. „Momentan habe ich das Gefühl, als hätte ich aufgrund dessen, was INEOS bereits erreicht hat, einen Fuß auf festem Boden und einen Fuß auf unsicherem Gelände, wo wir vorsichtig sein und lernen müssen, da es mit Exploration und unterirdischem Bereich, Geologie und Seismologie Elemente gibt, die für uns alle neu sind.“
Aber bis Ende Januar 2016 wird er über einen soliden Plan für die Weiterentwicklung des Geschäftsbereichs verfügen, der INEOS Capital vorgelegt wird.
Die Beschäftigten, die mit dem Verkauf des LetterOne-Konzerns zu INEOS kamen, blicken optimistisch in die Zukunft.
„Nach all der Ungewissheit gibt es ein Gefühl der Erleichterung“, merkte er an. „Es besteht eine sehr positive Erwartung, denn wir wissen, wir wollen die Assets betreiben und weiterentwickeln. Wir haben uns langfristig darauf eingelassen.“
Dem stimmt Adrian Coker, Leiter der Abteilung Exploration and New Business bei INEOS Breagh, zu.
„Wir haben gewissermaßen einen zweijährigen Verkaufsprozess hinter uns“, erklärte er. „Erst an LetterOne und dann einen forcierten Weiterverkauf an INEOS. Wir sind also ziemlich froh, dass wir endlich weitermachen und das normale Geschäft wieder aufnehmen können.“
INEOS-Vorstandsvorsitzender Jim Ratcliffe hat das Team bereits kennengelernt.
„Im Vergleich zu vielen, die der Nordsee den Rücken zukehren, schwimmt er gegen den Strom, aber für jemanden mit einer unternehmerischen Einstellung zu den Dingen gibt es hier Einiges zu gewinnen“, sagte Adrian.
Das vorhandene, äußerst erfahrene Managementteam bei DEAs britischem Unternehmen bleibt bestehen und wird das Geschäft in vergleichbarer Form wie alle anderen Unternehmen von INEOS betreiben.
„Viele Eingriffe von der Zentrale wird es nicht geben“, gab Jim an. „Es wird ein eigenständiger Bereich sein, und das Management wird mit dem Betreiben dieses Unternehmens beauftragt.“
Für INEOS ist dies ein kühner Schritt in eine neue Welt, aber je nachdem, wie sich dieses Projekt entwickelt, hat es das Potenzial, das Unternehmen in derselben Form zu verändern wie die Übernahme von INNOVENE durch INEOS im Jahr 2005.