Professor Peter Styles ist einer von drei Experten, die im Auftrag der britischen Regierung im Jahr 2011 einen unabhängigen Bericht verfassten, nachdem Fracking im Norden Englands zwei Erdbeben verursacht hatte. Hier erklärt er, warum Großbritanniens langfristige Zukunft von den enormen Reserven an Schiefergas tief unter der Erdoberfläche abhängt.
Großbritanniens Rettung könnte im Schiefergas liegen, das seit 300 Millionen Jahren im Gestein schlummert.
Professor Peter Styles ist der Auffassung, dass diese enormen Reserven genutzt werden müssen, wenn Großbritannien seinen langfristigen Energiebedarf sichern möchte.
„Das ist wirklich wichtig”, erklärt er. „Ich glaube nicht, dass den Menschen wirklich bewusst ist, wie prekär unsere Lage in Großbritannien ist.
„Derzeit kochen und heizen 70% der Briten mit Gas, wobei die Hälfte davon importiert werden muss.”
„Ein Teil kommt aus Norwegen, was wahrscheinlich unproblematisch ist, aber ein Großteil stammt aus Sibirien, nicht unbedingt ein Garant für Versorgungssicherheit.”
Im Januar 2009 führte ein Streit zwischen der Ukraine und Russland über Erdgaspreise zum vollkommenen Stopp der Lieferungen an eine Reihe von europäischen Ländern.
„Wir hatten nur noch Gas für zwei Tage”, erinnert sich Peter Styles.
„Und wenn so etwas passiert, werden Unternehmen wie INEOS ChlorVinyls in Runcorn – der drittgrößte Nutzer von Gas in Großbritannien – ausgeschaltet, weil die inländische Versorgung Vorrang hat.”
Normalerweise hat Großbritannien nur Gasspeicherkapazität für 12 Tage.
„Frankreich hat Kapazitäten für 120 Tage und Deutschland für 150”, führt er aus. „Aber wir nur für 12.”
Und es scheint so, als würde sich die Situation weiter verschlechtern.
Bis 2015 wird Großbritannien aufgrund der europäischen Vorschriften sechs Kohlekraftwerke schließen.
„Damit gehen dem System etwa acht bis neun Gigawatt an erzeugtem Strom verloren”, sagte er. „Wir reden hier in etwa über den Stromverlust von einem Tag pro Woche. Im Prinzip sagen wir, dass wir ohne die Menge an Strom und Energie auskommen müssen, die wir an einem Tag benutzen würden. Und wie wollen wir diese Menge ersetzen? Windkraftanlagen scheiden aus, weil die Leute nicht bereit sind, sie hinter ihrem Haus zu tolerieren.”
Professor Styles sagte, die britische Öffentlichkeit müsse sich der Konsequenzen ihres Handelns bewusst sein, wenn sie die Schiefergas-Suche im Vereinigten Königreich und die Entwicklung von Windparks ablehne oder Unternehmen daran hindere, die entsprechenden Gaslagerstätten zu bauen – wie in Byley, im englischen Cheshire, im Jahr 2001 geschehen.
Die Haltung ist oft: „Ich weiß nichts darüber aber ich weiß, dass ich es nicht will”, erklärt er.
„Das ist in Ordnung. Wenn die Leute sagen, dass sie es nicht wollen, kann ich damit leben. Aber wenn wir diese Entscheidung treffen, müssen wir mit den Konsequenzen leben. Und das könnte bedeuten, mit weniger Energie leben zu müssen.”
Am 30. Januar erlitt die britische Atomindustrie einen Rückschlag, als Pläne für die Suche nach einem Standort für ein 14 Milliarden Euro teures Atommüll lager in Cumbria vom dortigen Kreisrat abgelehnt wurden.
„Ich bin nicht sicher, ob sich der Kreisrat von Cumbria darüber im Klaren ist, dass er sich effektiv dazu entschlossen hat, weitere 10 Jahre (oder mehr) mit der oberirdischen Lagerung eines Großteils des britischen Atommülls in Sellafield zu leben, darunter befinden sich mehr als 100 Tonnen Plutonium”, sagte er.
„Diese Entscheidung wird die Kernenergie nicht unterstützen. Es wird um Stopp von neuen Atomanlagen im Vereinigten Königreich kommen, da zunächst das Atommüll Problem gelöst werden muss. Dennoch ist die Atomenergie neben dem Gas mittelfristig die einzige Energiequelle, die uns langfristige, saubere (d. h. CO2-arme) Grundlast-Energie liefern kann.
„Es überrascht die Leute manchmal, wenn ich ihnen sage, dass radioaktive Erze ohnehin im Felsen zu finden sind – da kommen sie schließlich her. Und trotz ihrer natürlichen Radioaktivität ist es etwas Besonderes, wenn man sie findet. So ist die Rückgabe in den Boden für die geologische Speicherung nicht so abwegig, wie es auf den ersten Blick erscheint.”
„Im Moment liegt der gesamte Atommüll auf der Erdoberfläche in Sellafield, unter Lagerbedingungen, die vor 50 Jahren konzipiert wurden.”
Ein weiteres Problem wirft seine Schatten voraus – und mobilisiert Demonstranten: die Suche nach Schiefergas mit der umstrittenen Technik, dem sog. Fracking, bei dem Wasser, Sand und Chemikalien mit Hochdruck in Gestein gepumpt werden, um das Gas zu extrahieren.
„Schiefer ist so dicht, dass das Gas nach 300 Millionen Jahren immer noch an Ort und Stelle ist”, erklärt Styles.
„Aber im Bowland Becken in Lancashire haben wir fast einen Kilometer solchen Schiefers. Das ist vier Mal so dick wie das Vorkommen in den USA, aus dem fast der gesamte Gasbedarf gewonnen wird.”
Demonstranten glauben, das Fracking berge ‘große Umweltrisiken’.
Aber Professor Styles, einer der drei Experten, die im Auftrag der britischen Regierung im Jahr 2011 eine unabhängige Studie angefertigt hatten nachdem diese Technik für die Entstehung von zwei Beben in Blackpool verantwortlich gemacht wurde, führt aus, dass sie sicher sei, wenn sie sorgfältig kontrolliert wird.
„In Stoke-on-Trent im Vereinigten Königreich haben wir regelmäßig größere Erdbeben, die durch das Fluten von alten Bergwerkstollen verursacht werden”, erläutert er.
„Das bedeutet nicht, dass ein wahrnehmbares Erdbeben keine Störung ist. Aber durch richtig überwachtes Fracking müssen wahrnehmbare Erdbeben gar nicht erst entstehen.”
Auch die Befürchtungen der Demonstranten in puncto Wasserverschmutzung seien unbegründet.
„Wir haben eine optimal reglementierte Industrie”, sagte er. „Wenn INEOS ChlorVinyls in Runcorn eine einzige Dose Cola in den Abfluss gießt, ist die entsprechende Grenzmenge bereits überschritten.
„Das zeigt, wie streng im Vereinigten Königreich alles reguliert ist.”
Er erklärt, eine der Chemikalien, die mit Sand und Wasser zum Fracking gemischt werden, sei ein Reinigungsmittel ähnlich unserem herkömmlichen Spülmittel.
„Beim Autowaschen denkt niemand zweimal darüber nach, so etwas in den Abfluss zu gießen”, sagte er. „Und Pinselreiniger ist ein schreckliches Zeug, aber Menschen spülen es auch einfach in die Kanalisation” ergänzt er. „Glauben Sie, dass Ihre Kanalleitungen komplett dicht sind?”
Unternehmen, die nach Schiefergas bohren, dürfen Fracking nicht näher als 600 Meter von einem Wasserlauf entfernt durchführen.
„Das Fracking findet tatsächlich in einer Tiefe von 3 km statt”, erklärt Professor Styles. „Was wird dann wohl eher zu Verunreinigung führen?”
Er fügt hinzu: „Wenn Leute etwas ablehnen, sollten sie gute Gründe dafür haben.”
Großbritannien verfügt vermutlich über enorme Schiefergas-Reserven.
Wie viel davon erreichbar sein wird, ist noch offen.
„Das Vereinigte Königreich ist dichter bevölkert als Amerika, das macht die Sache nicht einfacher”, macht er deutlich.
„Ich kann Ihnen sagen, ob es technisch machbar ist und die Entwickler müssen dann entscheiden, ob es wirtschaftlich möglich ist. Und wenn nicht, machen sie es nicht.”
„Aber das Schwierigste bei fast allen diesen wichtigen Fragen wie Atommüll, Kohlenstoffbindung und seit kurzem auch Schiefergas, ist es, die Menschen davon zu überzeugen – und das gilt für Regierungen, Kommunen und lokale Interessengruppen.”
Und darin liegt das Problem.
„Früher kam die Wärme- und Stromerzeugung aus der Umgebung”, erinnert Professor Styles. „Man ging raus und schnitt Torf oder fällte Bäume.”
„Die Erfindung des öffentlichen Stromnetzes war eine echte Errungenschaft, aber sie schuf Distanz zwischen Endverbraucher und Produktionsquellen. Es distanzierte die Leute auch von der Wirklichkeit.”
„Jeder will Energie, aber keiner will in Erzeugungsnähe leben, wenn es nicht gerade ein knisterndes Kaminfeuer ist.”
Professor Styles erklärt sich enttäuscht von denen, die den Bezug von Gas aus unregulierten Ländern akzeptieren.
„Undichte Pipelines, die das Gas aus Sibirien weiterleiten, haben einen deutlicheren CO2-Fußabdruck, als wenn es in Großbritannien verbrannt wird”, führt er aus.
„Wenn die Leute sagen, dass aus Schiefergas mehr freigesetzt wird als aus konventionellem Gas, müssen sie sich auch dieser Tatsache bewusst sein. Dann können wir ja direkt die Menge an CO2 in die Luft pumpen.”
„Wir wollen unser Gas, aber es gibt auch Probleme. Globale Veränderungen kennen keine Grenzen. Die Klimaerwärmung wird es nicht stoppen.”
„Davon abgesehen ist es aber auch ethisch fragwürdig, anderen die Last der ökologischen Probleme aufzubürden, die aufgrund unseres Energiebedarfs entstanden sind.”
Er erklärt, dass Schiefergas in Bezug auf die Menge der entstehenden schädlichen Treibhausgase umweltverträglicher als Kohle sei.
„Es ist halb so schlimm wie Kohle”, sagt er.
Viele Unternehmen erhielten von der britischen Regierung bereits entsprechende Lizenzen, um nach Erdöl und konventionellem Gas sowie dem irrtümlich als unkonventionell beschriebenen Kohleflöz-Methan und nach Schiefergas zu suchen, zu bohren und es entsprechend zu fördern.
„Diese Unternehmen sind vertraglich dazu verpflichtet, einige Explorationsbohrungen im Rahmen dieser Lizenzen durchzuführen”, berichtet Peter Styles.