Jim Ratcliffe, Vorstandsvorsitzender von INEOS, spricht mit Tom Crotty, Direktor der INEOS-Gruppe, über 2011 und die ersten Monate des Jahres 2012.
TC: Das letzte Mal haben wir uns im November getroffen. Damals haben Sie erklärt, dass trotz der guten Entwicklung am Jahresanfang die Nachfrage bis Jahresende wegen der Unsicherheit in Europa nachgab. Ist das Jahr Ihren Erwartungen entsprechend zu Ende gegangen?
JR: Ja. Es war aufgrund der Euro-Krise und der Entscheidung Chinas, den Gürtel enger zu schnallen, ein ruhiges 4. Quartal, und in allen unseren Geschäftsbereichen sank die Zahl der Aufträge. Überall in der Welt wurden die Vorräte abgebaut.
Wir hatten 2009 und 2010 ähnliche 4. Quartale; von daher war es keine Katastrophe, sondern eher eine Enttäuschung, weil das erste Halbjahr hervorragend war. Aber das Chemikaliengeschäft ist von Höhen und Tiefen geprägt. Wir alle wissen das.
Insgesamt haben sich die vier Quartale im Jahr 2011 ausgeglichen. Wir hatten ein sehr komfortables Jahr 2011 und das 1. Quartal dieses Jahres startete kraftvoll.
Die Vorräte werden aufgefüllt und die Nachfrage hat sich allgemein erholt. In Amerika läuft es gut und China hat seinen Gürtel wieder etwas gelockert. Insgesamt sind wir mit dem 1. Quartal zufrieden.
TC: Wie war das Sicherheitsergebnis im letzten Jahr?
JR: Im Bereich der Verhaltenssicherheit hatten wir ein Rekordjahr. Unsere Sicherheitsstatistik wies 0,2 bzw. 0,21 aus; das ist das beste jemals erzielte Ergebnis.
Das ist an sich schon sehr erfreulich, aber noch wichtiger ist, dass wir vier Jahre lang Fortschritte gemacht haben. Das zeigt, dass die installierten Systeme gut funktionieren.
Wir können mit Sicherheit behaupten, dass wir nun im oberen Zehntel der chemischen Industrie liegen. Wir wissen aber, dass Exxon eine Quote von 0,16 hat, und wir liegen bei 0,21. Das bedeutet, dass wir immer noch besser werden können, dass weitere Verbesserungen möglich sind, bis wir Null erreichen. Ein anderer Aspekt ist die Prozesssicherheit, die schwieriger zu messen ist als verhaltensbasierte Sicherheit, weil sich aus statistischer Sicht nicht viel ändert.
Wir untersuchen Produktaustritte sehr sorgfältig, und diese werden ausführlich in den Vorstandssitzungen diskutiert. Außerdem sehen wir uns die sicherheitskritischen Abschaltungen von Anlagen und Alarme genau an, damit wir – falls wir jemals an die letzte Barriere stoßen oder es ein Problem mit den chemischen Verfahren gibt – größere Schwierigkeiten verhindern können.
TC: Im Januar sind Sie zwecks Refinanzierung der Darlehen an die Finanzmärkte gegangen. Wie war die Reaktion potenzieller Investoren?
JR: Überraschend gut. Der Januar war noch ein besonders schwieriger Monat: Die Auswirkungen der Euro-Krise wirkten nach, die Investoren waren unsicher, weil China noch nicht von den Neujahrsfeierlichkeiten zurückgekehrt war und wir selbst waren unsicher, wie der Markt auf uns reagieren würde, obwohl wir sehr positive Zeichen aus Amerika erhalten hatten.
Nichtsdestotrotz waren die Anleihen stark überzeichnet. Wir wollten knapp 1 Milliarde US-Dollar beschaffen, die Nachfrage reichte jedoch für 5 Milliarde US-Dollar. Schließlich haben wir etwas mehr als 1,6 Milliarde US- Dollar aufgenommen. Im verbleibenden Jahr ist eine unserer Aufgaben die restliche Refinanzierung des Unternehmens.
TC: Warum war die Nachfrage nach INEOS-Anleihen so hoch?
JR: Nun, neben der Tatsache, dass man uns offensichtlich mochte und die Präsentationen erfolgreich waren, hat INEOS im Laufe der Jahre zahlreiche Anleihen emittiert. Wir haben dabei niemals jemanden enttäuscht. Im Krisenjahr 2008 wurden wir hart geprüft und haben diese Hürde in der schlimmsten Rezession der letzten 30 oder 40 Jahre offensichtlich genommen.
Seitdem haben sich die Investoren stark zurückgehalten und sitzen nun auf Bargeld. Sie wissen, dass sie bei Einlagengeschäften fast nichts verdienen, deshalb suchen sie nach anderen Anlagemöglichkeiten.
Unsere ausgegebenen Anleihen werden mit 8 Prozent verzinst; INEOS wird folglich als vertretbares Risiko eingeschätzt. Bisher sind unsere Anleihen stets gut gelaufen. Natürlich schwanken sie. In einer Krise geben Anleihen nun mal nach, aber sie haben sich immer wieder erholt und wir sind nie in Zahlungsverzug geraten.
Abgesehen vom 4. Quartal 2011 war das Ergebnis von INEOS immer stark. Das erste Halbjahr 2011 war das bisher stärkste, was wir bisher gesehen haben. Das zeigt, dass wir uns offensichtlich gut von der Rezession erholt haben und unsere Aussicht für 2102 ist ziemlich positiv. Insgesamt war es ein sehr, sehr gutes Ergebnis und wir haben uns darüber gefreut.
TC: War das überraschend?
JR: Wir waren angenehm überrascht. Wir haben daran geglaubt, dass es ziemlich gut laufen würde, sonst hätten wir die Anleihen nicht emittiert.
Es gibt einen schrecklichen Begriff in den USA (ich entschuldige mich bei allen amerikanischen Lesern), den sogenannten ‘blowout deal’ [blowout = Reifenplatzer]. Er klingt in der englischen Sprache nicht besonders gut, aber es handelte sich tatsächlich um einen ‘blowout deal’. Die meisten Anleihenkäufer kommen aus den Vereinigten Staaten; und das in einem sehr starken Marktumfeld. Im Augenblick sind die Amerikaner sehr positiv auf die Zukunft gestimmt.
TC: Was bedeutet das für das Unternehmen?
JR: Wie Sie wissen, wollen wir die Refinanzierung abschließen. Dies ist ein schrittweise stattfindender Prozess, der nicht in einem Ruck vollzogen werden kann. Wir hoffen, dass wir die Refinanzierung in der ersten Hälfte dieses Jahres abschließen können. Das bedeutet, dass wir am Ende des Jahres eine sehr ausgeglichene Bilanz haben werden.
Wir wollen uns auch mit den Vorkommnissen der Jahre 2008 und 2009 auseinandersetzen. Sicher erinnern sich die Menschen daran, dass uns in der letzten Krise erhebliche Strafzahlungen von den Finanzmärkten auferlegt wurden, in einer Krise, die die Banken selbst verursacht hatten.
Die Banken haben also offensichtlich die Macht, INEOS hohe Strafen aufzuerlegen, so dass wir uns dagegen schützen müssen. Durch die Refinanzierung verschwinden diese Strafzahlungen nun.
TC: Sehen Sie Veränderungen beim INEOS-Modell – ein privater geschäftsbereichsbezogener Hersteller chemischer Produkte?
JR: Nein, das glaube ich nicht. Das Unternehmen bleibt wie es ist.
TC: Wie arbeiten die im vergangenen Jahr gegründeten Joint Ventures?
JR: Obwohl Styrolution ein sehr ruhiges 4. Quartal hatte, war das Gesamtjahr recht gut. Wie INEOS hatte das Unternehmen ein starkes erstes Quartal 2012, das heißt, das Jahr begann mit voller Kraft.
Der Raffineriemarkt in Europa hat sich nach der Krise 2008/2009 noch nicht beruhigt. Wir brauchen eine stärkere Kapazitätskonsolidierung. Mit dem Zusammenbruch von Petroplus vor einigen Monaten schrumpfte die Kapazität etwas, obgleich einige Menschen immer noch mit dem Gedanken spielen, einige dieser Bereiche zu retten. Wir halten das für absurd, aber eine Vorhersage für das Geschäft zu wagen ist sehr schwierig. Der Januar verlief im Bereich Refining ganz gut, der Februar war jedoch ziemlich schwierig. Wir brauchen mehr Zeit, um zur Ruhe zu kommen und das Angebot und die Nachfrage auszugleichen.
TC: Was ist der diesjährige Schwerpunkt des Unternehmens?
JR: Ohne Zweifel ist der Abschluss der Refinanzierung unser Hauptaugenmerk, was hoffentlich gut klappt. Ich denke, dass unser Schwerpunkt danach auf zwei Wachstumsbereichen für INEOS liegt.
Erstens haben wir in Amerika Schiefergas, das zahlreiche Möglichkeiten eröffnet. Wir verwenden einen großen Teil unserer Zeit, Aufmerksamkeit und Konzentration auf Überlegungen, ob wir eine dieser Möglichkeiten wahrnehmen wollen.
Die zweite Wachstumsgeschichte betrifft China, wo großes Interesse an unseren Geschäftsbereichen für Zwischenprodukte besteht.
China hat in seine Upstream-Bereiche investiert, die wir als O&P-Geschäftsbereich bezeichnen würden; aus diesem Grund wurden und werden in China zahlreiche Kracker- und Polymeranlagen gebaut. China hat sich bisher noch nicht im Bereich der Zwischenprodukte bewegt, einer nachgelagerten Stufe des Upstream- Bereichs in der Petrochemie. INEOS hat mit Phenol und Acrylnitril, Oligomers, Oxide und dem Technologie- Geschäftsbereich sehr interessante Möglichkeiten.
TC: Im November berichteten Sie darüber, dass es in der Branche immer Höhen und Tiefen geben werde. Wie kann INEOS sicherstellen, dass es trotz dieser Unsicherheit weiter gut vorankommt?
JR: Einfache Rezepte oder Garantien gibt es nicht. Wir wissen, dass unsere Branche zyklisch ist und es Höhen und Tiefen geben wird. Das einzige, was man tun kann, ist dafür zu sorgen, dass man möglichst fit ist und die eigenen Fixkosten sehr wettbewerbsfähig sind, damit wir am unteren Ende des Zyklus in der Gewinn- und Verlustrechnung keine negativen Zahlen sehen. Das heißt, wir brauchen große Anlagen mit niedrigen Fixkosten, effiziente und zuverlässige Anlagen und eine effiziente Technologie. Vieles davon wurde während der Krise 2008/2009 einem Realitätscheck unterzogen. Seitdem haben wir die eine oder andere Anlage geschlossen und die eine oder andere verkauft. Das heutige INEOS-Portfolio umfasst schlanke und zukunftsfähige Vermögenswerte sowie Anlagen.
TC: Zu guter Letzt, wie geht es dem Team? Ich meine natürlich Manchester United.
JR: Das musste ja kommen. Die Leser bzw. Zuhörer wissen vielleicht, dass Tom auch Fan von Manchester United ist. Dieser Teil des Interviews könnte länger als das gesamte übrige Interview dauern, wenn ich erst einmal anfange. Ich will damit sagen, dass wir uns durch das grottenschlechte Abschneiden der übrigen Mannschaften der englischen Liga geschmeichelt fühlen. Alle stehen hoffnungslos da – Liverpool, Chelsea, Arsenal sind aussichtslos. Alle guten Spieler scheinen Großbritannien verlassen zu haben. United steht ganz oben, aber wir mussten Paul Scholes ins Mittelfeld zurückholen. Er ist 38 und wir mussten ihn ins Mittelfeld zurückholen. Barcelona hat acht oder neun Spieler wie Paul Scholes und alle sind 24 oder 25 Jahre alt. Ich bin nicht überrascht, dass wir aus der Champions League ausgeschieden sind, wie übrigens auch die anderen Mannschaften der englischen Liga. Ich weiß nicht, was passiert ist. Es ist alles sehr deprimierend. Tom, du hast das Interview völlig ruiniert.