Die deutsche Wirtschaft ist den europäischen Nachbarn beständig voraus und INCH möchte wissen, was das übrige Europa von der Art und Weise, wie in Deutschland Geschäft betrieben wird, lernen kann
DEUTSCHLAND gilt seit langem als die treibende Kraft der Produktion in Europa.
Im Jahr 2015 exportierten deutsche Firmen Güter im Rekordwert von 1,196 Billionen Euro – um 6,4 Prozent mehr als 2014 – und die Beschäftigung erreichte den Höchststand von 43 Millionen.
Im Dezember 2016 stellte Robert E. Scott, führender Ökonom und Director of Trade and Manufacturing Policy Research am „Economic Policy Institute“ fest, dass Deutschland seine Exporte nach China und in das übrige Asien trotz der Tatsache, dass die deutschen Löhne in der verarbeitenden Industrie zu den höchsten der Welt gehören, gesteigert hätte, während andere Industrienationen vor der Konkurrenz aus Asien eingeknickt wären.
„Wenn höhere Löhne der Wettbewerbsfähigkeit in der Produktion schaden, dann müsste es Deutschland schlechter gehen als den Vereinigten Staaten, aber dem ist nicht so“, schrieb er in einem Artikel für das Economic Policy Institute.
Nach den neuesten Zahlen der Weltbank macht die verarbeitende Industrie in Deutschland 23 Prozent der Wirtschaftsleistung aus – im Vergleich zu 12 Prozent in den USA, 11 Prozent in Frankreich und 9,4 Prozent im Vereinigten Königreich.
Wenn man etwas genauer hinsieht, wird klar, dass Deutschlands Wirtschaftswunder nicht dem Zufall überlassen wird oder einfach darauf zurückzuführen ist, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein. Es ist das Ergebnis der Arbeitseinstellung der Deutschen; einer Regierung, die die verarbeitende Industrie als Garanten für Arbeitsplätze und ein gesundes, anhaltendes Wirtschaftswachstum ansieht; und der Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Herstellung von Erzeugnissen von höchster Qualität.
„Deutsche Unternehmen sind selten die billigsten Anbieter, doch die überlegene Qualität und Leistung ihrer Produkte ermöglicht ihnen, erstklassige Preise zu erzielen und den Export dennoch gleichzeitig zu steigern“, schrieb Charles W. Wessner, Programmdirektor des Board on Science, Technology and Economic Policy des National Research Council in einem Artikel für die Fachzeitschrift „Mechanical Engineering“.
Der britische Journalist Justin Rowlatt, Südasien- Korrespondent der BBC, verbrachte mit seiner Frau Bee und zwei seiner vier Kinder mehrere Monate in Deutschland auf der Suche nach dem Erfolgsgeheimnis der Deutschen. In vielen Gesprächen mit seinen deutschen Bekannten kamen einige bittere Wahrheiten zu Tage.
„Eine junge Deutsche hatte in einem britischen Büro gearbeitet und war entsetzt, wie wenig dort gearbeitet wurde“, sagte er.
„Wenn Deutsche miteinander reden, reden sie über die Arbeit. Im Vereinigten Königreich waren die Leute alle mit Facebook, SMS, E-Mails an Freunde und privaten Telefonaten beschäftigt.“
Justin arbeitete für Faber-Castell, einen der weltgrößten und ältesten Bunt- und Bleistifthersteller. Dieses Unternehmen wird nach wie vor von einem direkten Nachfahren des Gründers geführt.
Und es macht seine
Sache hervorragend.
„Das deutsche Erfolgsgeheimnis scheint darin zu bestehen, dass man sich auf einen sehr kleinen Bereich beschränkt und darin weltweit führend wird“, sagte er.
Das trifft auf Faber-Castell ganz sicher zu.
Das Unternehmen wurde vor 255 Jahren von einem Schreiner gegründet, der zunächst in seiner Freizeit Bleistifte herstellte. Heute hat es 14 Fertigungsstätten, beschäftigt etwa 7.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und verkauft in mehr als 100 Länder.
„Es ist ein typisches Mittelstandsunternehmen“, so Graf Anton Wolfgang Faber-Castell, der das Unternehmen bis zu seinem Tod leitete.
Die Deutschen bezeichnen mit Mittelstand Millionen von mittelgroßen Unternehmen, die etwa ein Fünftel der deutschen Arbeitnehmer beschäftigen und auf Nischenprodukte ausgerichtet sind, für die sie erstklassige Preise in der ganzen Welt erzielen.
Diese Familienunternehmen gibt es oft seit Generationen, sie bilden das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Sie beliefern nicht nur Deutschlands multinationale Unternehmen, sondern exportieren auch selbst.
Tom Peters, amerikanischer Autor und Fachmann für Businessmanagement, sagte, Mittelstandsunternehmen hätten einen unglaublich starken Fokus.
„Die jungen Männer und Frauen durchlaufen ihre Lehre und nehmen mit, dass Exzellenz ihr Ziel ist“, sagte er.
Und es gibt noch einen Grund für ihren Erfolg. Und zwar die Fraunhofer-Gesellschaft, ein Netzwerk von 67 von der Regierung unterstützten Forschungsinstituten mit 23.000 Beschäftigten.
„Fraunhofer unterstützt ein Ökosystem für Produktionsinnovation und trägt zur Sicherung der Position Deutschlands als Exportriese bei“, so ein Kommentar von Sujai Shivakumar, Spezialist für Innovationspolitik der National Academies in Washington, im Wall Street Journal.
Die Fraunhofer-Gesellschaft liefert erstklassige, erschwingliche kurzfristige Studien, die sich kleine Hersteller sonst nur schwer leisten könnten. Diese Unternehmen setzen die Forschung ein, um ihre Abläufe und Erzeugnisse beständig zu verbessern – und bleiben der Konkurrenz so immer einen Schritt voraus.
„Einfach ausgedrückt, hilft Fraunhofer den Herstellern, das ‚Tal des Todes‘ zu überbrücken – ein Punkt, der oftmals in einem Stadium der Produktionsentwicklung erreicht wird, wenn die Investitionen eine potenzielle hohe Rendite versprechen, die Unsicherheit aber zu groß ist, um wesentlich in die Forschung und Entwicklung zu investieren“, so Michael Teiwes, PR-Chef bei Fraunhofer.
In den letzten 10 Jahren arbeitete der deutsche Unternehmensberater Professor Dr. Bernd Venohr mit zahlreichen mittelgroßen Familienunternehmen, die weltweit führend sind, in Deutschland zusammen.
„Sie wurden oft als ‚verborgene Champions‘ bezeichnet, doch in einer zunehmend transparenten Weltwirtschaft sind sie nicht mehr verborgen“, kommentierte er.
Er führte ihren Erfolg darauf zurück, dass sie wissen und der festen Überzeugung sind, dass gesundes Wachstum und Fortschritt echter Innovation entspringen, dass der hohe Wert und nicht der Preis für den Kunden ausschlaggebend ist, und dass die Beschäftigten respektvoll und nicht als ,leicht ersetzbare Ressourcen’ zu behandeln sind.
„Diese wichtigen Managementprinzipien sind im Grunde universelle Wahrheiten für jedes Unternehmen“, so Venohr. „Doch leicht verständlich heißt nicht unbedingt leicht umsetzbar.“
Aus einer seiner jüngsten Studien geht hervor, dass etwa 1650 deutsche KMU eine führende Stellung in den Weltmärkten für ihre Produkte hatten oder dass sie in diesen Märkten zumindest zu den drei Unternehmen an oberster Stelle gehörten.
Die amerikanische Manufacturers Alliance for Productivity and Innovation meinte, der Rest der Welt könnte von Deutschland viel Wertvolles lernen.
„Die Qualität und das Ausmaß der beru ichen Ausbildung für junge Leute zur Vorbereitung auf quali zierte Arbeitsplätze im Produktionssektor ist bewundernswert“, meint Kris Bledowski, Director of Economic Studies. „In der deutschen Gesellschaft werden Technik und Naturwissenschaften als erstrebenswerte Bildungsziele angesehen.“
Aus seiner Sicht werde Deutschland von den Auswirkungen des rückläu gen chinesischen Wirtschaftswachstums nicht spürbar betroffen sein.
„Im letzten Jahr machten die Exporte nach China 97 Milliarden Dollar bzw. etwa 7,2 Prozent der deutschen Exporte insgesamt aus“, so Bledowski. „Deutschlands Investitionen in China sind im Vergleich zu fast allen anderen Ländern Europas verschwindend klein. Die Auswirkungen werden also insgesamt nur recht gering sein.“
Und darüber ist Justin Rowlatt tatsächlich nicht erstaunt.
„Die Deutschen sehen ihre Erfolge nicht als selbstverständlich an und ich glaube,das ist der Grund, warum die langfristige Ausrichtung so wichtig für sie ist“, sagte er, „harte Arbeit, Ef zienz und Ordnungsliebe entspringen einem tiefen Gemeinschaftssinn und der Verantwortung für einander.“
Der Blick der Deutschen ist auf die Zukunft gerichtet.
Deutschland hat mit der Unterstützung der Bundesregierung „Industrie 4.0“, oft auch als ,Vierte Industrielle Revolution‘ bezeichnet, eingeleitet.
„Wir wollen, dass Deutschland weiterhin eine weltweit konkurrenzfähige Wirtschaft mit hohen Löhnen hat, und wir sind davon überzeugt, dass die Strategie ,Industrie 4.0’ uns dies ermöglichen wird“, so Professor Henning Kagermann, Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften.
Bledowski meint, „Industrie 4.0“ – die Entwicklung der Fabrik der Zukunft – sei zum Teil der Angst vor Amerikas digitaler Revolution, die auch die verarbeitende Industrie erfasste, entsprungen.
„Man kann wohl sagen, dass diese deutsche Initiative und das amerikanische ‚Industrial Internet‘-Konzept transatlantische Vettern sind, wenngleich auch getrennt durch Sprache, Traditionen und Geschäftskultur“, so Bledowski. „Doch bei ‚Industrie 4.0‘ geht es nur um Deutschland. Diese Strategie hat keine europäische, internationale oder globale Ausrichtung. Das Geld der deutschen Steuerzahler wird eingesetzt, um heimischen Unternehmen zu helfen, ihre internationale Konkurrenzfähigkeit beizubehalten.“
Er versicherte, dass das amerikanische Projekt, wenngleich dieses seinen Sitz in den USA habe, dennoch allen offenstünde, die Anteil an der Zukunft des industriellen Internet haben.
„Es hat eine globale Reichweite“, so Bledowski.
SELBSTGEFÄLLIGKEIT IST FEHL AM PLATZ, MEINT VCI
DEUTSCHLANDS chemische Industrie mag andere in Europa mit Neid erfüllen – doch vor Selbstgefälligkeit wird gewarnt.
In einer Presseerklärung sagte Marijn Dekkers, Präsident des Verbandes der deutschen Chemieindustrie (VCI) Anfang des Jahres 2016, die Produktion hätte nach einem guten Anfang nun stagniert, die Umsätze seien gesunken, Arbeitsplätze seien verlorengegangen.
„Das ist keine gute Nachricht, und der Ausblick ist auch nicht vielversprechend“, meinte er.
Deutschland sei mit mehreren Herausforderungen konfrontiert, etwa einer Wachstumsschwäche der Weltmärkte, den Kosten von Rohstoffen und Energie und Großbritanniens Entscheidung, als erster Mitgliedsstaat aus der Europäische Union auszusteigen.
„Zwar ist es derzeit noch zu früh für eine Bewertung“, so Dekkers. „Doch die britische Entscheidung wird mit Wahrscheinlichkeit nachteilige Auswirkungen haben.“
Die Ereignisse der letzten Zeit, vor allem die Abwertung des Euro und die sinkenden Ölpreise, seien der deutschen Wirtschaft zugute gekommen. Doch diese würden nun ‚ausklingen‘, stellte er fest.
Dennoch sieht es für Deutschland, im Vergleich zur übrigen Welt, auf den ersten Blick nach wie vor gut aus.
„Wir sind seit mehr als einem Jahrzehnt Exportweltmeister, der Handelsbilanzüberschuss für Chemikalien wächst beständig und wir sind bei weitem der wichtigste Standort für die chemische Industrie in Europa“, sagte er. „Wir agieren immer noch aus einer Position der Stärke. Aber die Betonung liegt auf ,immer noch’. Auf lange Sicht ist es zunehmend fraglich, ob Deutschland seine Position als Standort der chemischen Industrie weiter halten kann.“
Deutschland müsse dafür Sorge tragen, seine Konkurrenzfähigkeit nicht zu verlieren, sagte er, aber genau diese Gefahr bestünde nun aufgrund der zunehmenden Expansion von Produktionsanlagen in Amerika und im Nahen Osten, der steigenden Energiekosten in Europa, übermäßiger EU- Vorschriften, des Verlusts von Unternehmen in der Wertschöpfungskette, mangelnder Investitionen in Deutschland und fehlender Anreize für Forschung und Entwicklung.
„Die deutsche Industrie kann Deutschland nicht im Alleingang zum Weltmeister der Innovation machen“, sagte er. „Wir benötigen Unterstützung aus der politischen Arena. Wir müssen am gleichen Strang ziehen.“
In der jüngsten VCI-Studie mit dem Titel „Die deutsche chemische Industrie 2030“, die von der Prognos-AG durchgeführt wurde, stellt der VCI fest, dass sich heute getroffene politische Entscheidungen auf zukünftige Entwicklungen und Investitionen auswirken würden.
Für das Wachstum wäre ein Klima erforderlich, das frei von Bürokratie ist und Innovationen begünstigt.
„Um weiter zu investieren, benötigen wir einen stabilen Planungshorizont, besonders in der energiebezogenen Gesetzgebung“, so Dr. Stephan Müller, leitender Angestellter bei INEOS in Köln