Von James Cracknell
James Cracknell, Olympiasieger und Weltmeister im Rudern, teilt seine Erfahrung wie man Unmögliches erreicht
James Cracknell hat seinen Eintrag ins Geschichtsbuch geschafft, als er beim Rudern im Vierer ohne Steuermann zwei Olympische Goldmedaillen gewann, 2000 in Sydney und 2004 in Athen. Er besitzt zudem sechs Weltmeisterschaftsgoldmedaillen im Rudern. Seit 2004 hat er einige Herausforderungen gemeistert wie 2010 den Sandmarathon in der Sahara.
Meine ehrliche Antwort auf die Frage „Wie ist das, die Olympischen Spiele zu gewinnen?” scheint beim Fragesteller immer zu einem gewissen Gefühl der Enttäuschung zu führen. Urteilen Sie selbst: Trotz Rückschlägen habe ich erstens nie daran gezweifelt, dass ich eine Goldmedaille gewinnen würde, und zweitens erwies sich das Selbstvertrauen, das mir das Gewinnen der Medaille gab, beim Setzen und Erreichen von Zielen in anderen Bereichen als außerordentlich wertvoll.
Zugegeben beweist die Behauptung, dass man die Olympiade gewinnen wird, ein gehöriges Maß an Selbstvertrauen. Was auch immer man sich zum Ziel setzt: ohne das Zugrundelegen eines robusten Rüstzeugs, wird es nicht passieren. Das Anlegen einer Treppe vom aktuellen Stand zu einem Niveau, das einen befähigt, eine dem Meistertitel entsprechende Leistung zu erbringen, hat mir zum Glauben und Vertrauen verholfen, dass alles möglich ist, solange ein solider Plan für den Weg dorthin da ist.
Ich habe erkannt, dass diese Antworten nicht sehr emotional sind. Ein Rennen vor 100.000 Menschen ist ein phänomenales Erlebnis, aber sehen wir uns die letzte Szene in Rocky 3 an. Apollo Creed und Rocky Balboa – mit jeweils einem Sieg aus ihren vorangegangenen Begegnungen – kämpfen in einer leeren Halle. Nur um festzustellen, wer wirklich der Beste ist. Klar, das ist nicht die eleganteste Analogie, aber mir geht es eher um persönliche Genugtuung denn um öffentliches Interesse.
Nachdem ich die Schule verlassen hatte, ruderte ich im selben Club wie Steve Redgrave, der bereits ein paar Olympische Goldmedaillen in der Schublade hatte. Ich stellte mir vor, ihn einmal im Monat zu schlagen dann einmal pro Woche und schließlich jeden Tag, um zu beweisen, dass ich das Talent zum Gewinnen der Spiele hatte. Der große Kerl brauchte etwas Überzeugungskraft, er war mein Coach während des Aufbaus der U18-Weltmeisterschaften. Während der ersten Trainingseinheit kenterte ich, deshalb dachte ich, es sei nicht der beste Moment, ihm zu sagen, dass wir in zehn Jahren gemeinsam an den Olympischen Spielen teilnehmen würden.
Danach sah es auch sieben Jahre später aufgrund der zuvor erwähnten erlittenen Rückschläge nicht aus. Ich kam in die Auswahl für die Olympischen Spiele 1992 in Barcelona, brach mir aber bei einem Rugbyspiel meine Schulter. Mir wurde angeboten, als Reserve mitzureisen. Im Gegensatz zu einem Ersatzspieler im Fußball kann man aber nicht einfach nach Wettkampfbeginn als Ersatz ins Boot springen, falls es nicht nach Plan läuft. Also entschied ich mich, nicht hinzufahren. Ich hatte zwar einen lässigen Sommer, verlor aber meine finanzielle Unterstützung und musste während der Vorbereitungen auf die Olympischen Spiele von Atlanta 1996 Training und Job unter einen Hut bringen.
Der Unterschied zwischen einem Vollzeitathleten und der Kombination aus Job und Training ist nicht der Trainingsaufwand, sondern die Zeit, die dem Körper zum Ausruhen und Erholen bleibt. Ich flog zu den Spielen nach Atlanta und bekam am Tag der Eröffnungszeremonie eine Mandelentzündung (wahrscheinlich aufgrund eines angeschlagenen Immunsystems), also verbrachte ich die Olympischen Spiele in Quarantäne. Das waren die zweiten Spiele, für die ich nominiert war, aber mein Start sollte noch kommen.
1996 waren die Olympischen Spiele für das britische Team schrecklich. Wir gewannen eine Goldmedaille im Zweier ohne Steuermann mit Steve Redgrave und Matthew Pinsent. Steve forderte alle heraus, ihre Schusstrefferqualitäten zu testen, als er ankündigte, bei den Olympischen Spielen in Sydney wieder im Vierer ohne Steuermann anzutreten. Sogar meine mathematischen Grundkenntnisse reichten aus, um zu erkennen, dass sie noch zwei Leute brauchten. Der Auswahlprozess ist eigentlich ziemlich objektiv und es geht weniger darum, wer denn beim Angriff am besten an Wayne Rooneys Seite passt. Würde ich alle Selektionskriterien bestehen, wäre es für mich unmöglich, draußen zu bleiben, auch wenn ich in der Vergangenheit ein ‘Pechvogelathlet’ war. Die Kriterien beinhalteten Geschwindigkeitstests an den Rudermaschinen, Gewichtstemmen im Kraftraum, Einzelrennen im Boot, aus dem man mit jemandem mit ähnlicher Schnelligkeit zu einem Paar wurde, und die beiden Toppaare waren dann die Vierer.
Unser Vierer, der bei den Olympischen Spielen in Sydney 2000 zum Einsatz kam, wurde zum ersten Mal im April 1997 zu Wasser gelassen. Unser Trainer sagte: „Es wird ein einziges Rennen geben, nach dem ihr bewertet werdet. Das ist am 23. September 2000 um 10 Uhr 30. Um den Sieg zu garantieren, muss euer Schlechtester den Besten der anderen übertreffen.”
Mit diesem Mantra trainierten wir, jedes gewonnene Rennen war ein verlorenes, das uns zwang, noch besser zu werden. Wir hatten keine Regeln, glaubten an Selbstverantwortung. Wenn du jemand nicht zutraust, außerhalb des Trainings auf sich selbst zu schauen, traust du ihm auch am halben Weg im Olympischen Finale nicht, wenn dein Körper dich anbrüllt: ‘Aufhören!’
Wir gewannen in Sydney, und Steve schaffte es gerade so, am Podium nicht zusammenzuklappen. Als wir zum Bootsschuppen zurückkamen, sagte unser Coach: „Das war nicht besonders gut.” und forderte uns auf, das Rennen auf einer Skala von eins bis zehn zu bewerten. Der höchste Wert war sechs. Wenn wir ehrlich gewesen wären, hatten wir unser schlechtestes Rennen für nicht gut genug gehalten, um zu gewinnen, aber weil wir uns rigorose Maßstäbe gesetzt hatten, waren wir gut genug.
Ich war nicht sicher, ob ich für die Olympischen Spiele in Athen weitermachen wollte. Unser Trainer hat das bemerkt und sagte mir am Flughafen in Sydney unsanft: „Jeder kann mal gewinnen. Echte Champions tun’s wieder.” Damit hab ich für weitere vier Jahre unterschrieben.
Als Steve Redgrave seinen Lycraanzug schließlich an den Nagel gehängt hatte, waren Matt Pinsent und ich das Paar im Rennen. Einige Jahre waren wir erfolgreich, gewannen zwei Weltmeisterschaften und brachen den Weltrekord bei der zweiten. In dieser Zeit fingen wir an, unsere goldene Regel zu vergessen und nahmen einen Sieg als Sieg. Wir hatten zwar den Maßstab gesetzt, den unsere Konkurrenz als möglich erachtete, aber wir machten während des langen Wintertrainings keine Fortschritte. Die Rechnung bekamen wir im darauffolgenden Jahr. Ich bilde mir ein, wenn ich gut trainiert und ein gutes Rennen gemacht, aber dennoch verloren hätte, dann hätte ich den Widerspruch besser verkraftet. Aber es war unakzeptabel, uns nicht die besten Chancen auf einen Gewinn gegeben zu haben.
Usain Bolt hat mit seinen 9,69 Sekunden bei den Olympischen Spielen in Peking den anderen Läufern auf der 100-Meter-Distanz gezeigt, was möglich war. Im Folgejahr gewann er die Weltmeisterschaften mit 9,58 Sekunden. Wenn er sich nicht verbessert hätte, dann hätte ihn der Amerikaner Tyson Gay mit seinem Anrecht auf Silber mit den 9,69 Sekunden geschlagen.
Zurück zum Leben auf dem Wasser. Nachdem wir bei den Weltmeisterschaften 2003 geschlagen wurden, fand unser Trainer, dass unsere beste Leistung ausreichte, um zu gewinnen. Aber wir hatten nicht bewiesen, dass unsere schlechteste oder auch nur mittelmäßige Leistung es tat. Also wurden Matt und ich nur drei Monate vor den Olympischen Spielen in Athen 2004 in den Vierer ohne Steuermann zurückgesetzt. Sechs Wochen vor den Spielen mussten wir verletzungsbedingt die Mannschaft ändern. Unser erstes gemeinsames Rennen würde also im Olympischen Feuer stattfinden.
Wir hatten einen begrenzten Zeitraum, um uns gegenseitig zu vertrauen und nicht die verletzungsbedingte Umbesetzung als Vorwand zu nehmen, unsere Erwartungen runter zu schrauben. Um sicherzugehen, dass wir den größtmöglichen Speed aus dem Boot holten, schafften wir eine Atmosphäre absoluter Offenheit für kritische Stimmen ohne „wie du mir, so ich dir”. Matt und ich waren wahrscheinlich zu sehr allein auf den Sieg konzentriert. Deshalb stellten wir sicher, dass wir nach vorne blickten, und die Maßstäbe der Olympischen Spiele schätzten und benutzten, um unsere Leistung zu steigern.
Am Tag des Olympischen Finales glaubten wir, dass unser Bestes gut genug war. Weil wir aber vorher noch kein Rennen zusammen gefahren waren, konnten wir nicht sicher sein. Hätten wir auf diejenigen gehört, die den Plafond unserer potenziellen Leistung sahen, hätten wir den Sieg niemals nach Hause getragen, aber mit einem Vorsprung von 0,08 Sekunden war auch nicht viel Platz für Fehler.
Außerhalb vom Sport habe ich die Gefahr begriffen, die von gesetzten Grenzen ausgeht. Vor einem Jahr wurde ich in den USA durch einen Tanklaster vom Fahrrad gekickt. Hätte ich den von den ‘Experten’ veranschlagten Gesundungshorizont akzeptiert, wäre ich da auch gelandet. Aber indem ich daran glaubte, wieder dorthin zu gelangen, wo ich vorher war, gab ich mir selbst die beste Chance, das zu erreichen.
Wenn es also etwas gibt, das ich während meiner Ruderkarriere und den anschließenden Herausforderungen wie dem Sandmarathon gelernt habe, dann Folgendes: stets einen klaren Plan haben, dafür sorgen, dass deine schlechteste Leistung immer noch besser als die beste der anderen ist einen Sieg als eine Niederlage werten und niemanden eine Grenze für deine Möglichkeiten ziehen lassen.