KEIN SPORTEREIGNIS istvon Mythen und Legenden so umrankt wie der Marathon.
Der allererste Marathonlauf erinnerte an den Lauf des Pheidippides, der 490 v. Chr. von einem Schlachtfeld bei der griechischen Stadt Marathon bis nach Athen lief, um dort den Sieg über die Perser zu vermelden und gleich danach zusammenzubrechen und zu sterben.
Etwa 2.500 Jahre danach wurde die Idee eines derartigen Langstreckenwettbewerbs von Baron Pierre de Coubertin, dem Gründer der modernen Olympischen Spiele, wiederbelebt.
Ganz im Geist des Pheidippides wurde bei den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit 1896 in Athen ein Marathonlauf über 40 km ausgetragen, bei dem der griechische Wasserträger Spyridon Louis mit einer Zeit von 2:58:50 Gold gewann und das Phänomen Marathon begründete.
Dieser erstmalige Marathon erlangte solche Beliebtheit, dass ein Jahr später der Boston Marathon als erster jährlich ausgetragener Marathon sein Debüt feierte.
Vielleicht war es aber der Marathonlauf bei der Olympiade 1908 in London, der die Disziplin, wie wir sie heute kennen, am nachhaltigsten geprägt hat.
Ursprünglich sollte die Marathonstrecke 1908 in London vom Windsor Castle zum White City Stadium führen und 26 Meilen lang sein.
Die Queen bat jedoch nachträglich darum, den Start zur östlichen Rasenfläche von Windsor Castle zurückzuverlegen, damit die Kinder der königlichen Familie beim Rennen zusehen konnten. Dadurch verlängerte sich die Strecke um 385 Yards (352 Meter) – die Geburt der offiziellen Distanz eines Marathonlaufs.
Der olympische Marathon von 1908 ist zudem einer der denkwürdigsten in der Geschichte des Rennens.
Der Italiener Dorando Pietri erreichte als Erster das Stadion, brach jedoch kurz vor der Ziellinie zusammen.
Ein britischer Funktionär half ihm über die Ziellinie, aber Pietri wurde wegen unerlaubter Hilfeleistung disqualifiziert.
Der Zweitplazierte Johnny Hayes aus den USA erhielt die Goldmedaille.
Doch die öffentlichen Sympathiebekundungen für Pietri brachten die Queen dazu, Pietri einen Sonderpreis zu verleihen.
NIEMAND sollte die Leistung unterschätzen, die Eliud Kipchoge abverlangt wird, wenn er 42 Kilometer und 195 Meter in 1:59:59 laufen will.
Das weiß jeder, der einmal einen Marathon gelaufen ist.
Der britische Journalist Ed Caesar sagt, dass gilt auch Profisportler.
„Geoffrey Mutai hat beim Start nicht um den Sieg gebetet, sondern darum, das Ziel zu erreichen“, sagt er.
Man sagt, der Körper eines Marathonläufers verbrennt so viel Energie, dass er zu einem beweglichen Ofen wird. Ein Mensch hat nur so viel Kraft wie sein Körper, und es gibt keine Ladestation.
Doch das hält Horden gewöhnlicher Menschen nicht davon ab, Jahr für Jahr ihre Grenzen zu testen und zusammen mit der Weltelite an einem Marathon teilzunehmen.
Dabei werden die Besten der Welt jedes Jahr schneller.
1988 stellte der Äthopier Belanyeh Densamo einen Weltrekord auf, als er den Marathon von Rotterdam in 2:06:50 gewann.
Nachdem er den Berlin-Marathon in 2:01:39 gelaufen ist, hält jetzt Eliud den Rekord als schnellster Marathonläufer.
In seinem Buch „Zwei Stunden: Vom Traum, den Marathon zu laufen“ beschreibt Ed das Rennen unter zwei Stunden als „Everest des Laufens“.
„Einst hieß es, für solche Leistungen sei der menschliche Körper ungeeignet, doch der Gipfel ist in Sicht“, schreibt er.
Er glaubt, dass eine solche Leistung außergewöhnliche Anforderungen an Geschwindigkeit, mentale Stärke und Ausdauer stellt.
„Der Pionier, der das schaffen will, muss mehr aushalten, mehr Mut besitzen, besser planen und mehr Glück haben als seine Vorgänger“, sagt er. „Also: Wer wird er sein?“
Das Team der INEOS 1:59 Challenge glaubt, dass „er“ Eliud Kipchoge sein wird. Ein 34-jähriger kenianischer Bauer, der mit 16 Jahren erstmals auf einer Aschenbahn lief.
Und das mit gutem Grund. Denn Eliud glaubt auch, dass er es schaffen kann.
Laut Tim Noakes, einem emeritierten Professor aus Südafrika, der mehr als 70 Marathons und Ultra-Marathons gelaufen ist, haben Studien gezeigt, dass das Gehirn die Muskeln kontrolliert und der Geist das größte Hindernis ist, wenn man die zwei Stunden unterbieten will.
„Man muss das Gehirn davon überzeugen, dass es möglich ist“, sagt er.
Eliud und das Team in seiner Umgebung haben diese Hürde bereits überwunden.
„Ich habe es visualisiert“, sagt Eliud. „Ich habe es in Herz und Geist verinnerlicht, dass ich die Zwei-Stunden-Marke knacken werde.“
Nun wird er Professor Noakes Theorie dem größten denkbaren Test unterziehen.